von Lisa Keilhofer

Woher kommt eigentlich diese ständige Desinfiziererei?!

Hände desinfizieren
Das ständige Desinfizieren schädigt unsere Haut - also wer oder was veranlasst uns dazu? (Pics: © Kunstzeug + Ruslan Ivantsov - stock.adobe.com)

Als Unternehmen, das sich mit dem Mikrobiom und dem Erhalt desselben auseinandersetzt, wächst bei uns das ungute Gefühl wegen der ständigen und allgegenwärtigen Desinfiziererei, die uns derzeit begegnet. Klar, Hygiene ist wichtig. Dennoch möchten wir hier einfach mal die kritische Frage aufwerfen, wer eigentlich die Direktive erlassen hat, dass Hände, Tische, Türklinken und sonstige Oberflächen permanent desinfiziert werden müssen?

Was bewirkt Desinfektion?

Oberflächen (auch unsere Haut als Oberfläche gesehen) werden dann desinfiziert, wenn man sie möglichst keimfrei machen möchte. Im Klinik-Alltag macht das vor allem dann Sinn, wenn diese Keime sonst in offene Wunden und damit ins Körperinnere gelangen könnten. Gleichzeitig aber zerstört Desinfektion mittelfristig unser Hautmikrobiom. Fachzeitschriften wie die Pharmazeutische Zeitung (1) oder die Ärztezeitung (2) thematisierten das Problem schon weit vor Covid-19. Auch aufmerksame Leser der Breitenmedien sind womöglich schonmal auf das Problem aufmerksam geworden (3).

Wird die Haut mit Desinfektionsmittel behandelt, so zerstört dies laut Packungsangabe bekanntermaßen nahezu alle Viren und Bakterien – also auch die standesrechtlich dort ansässigen. Das wiederum macht den Platz frei für unliebsame invasive Arten, oft Pilze oder Bakterien, die mit Infektionen einhergehen. Sinnvoll ist daher, das hauteigene Mikrobiom möglichst nicht zu beeinträchtigen, um die körpereigene Abwehrkraft gegen Pathogene zu erhalten. Neben Infektionen, die als solche meist wieder gut in Griff zu bekommen sind, wird unter anderem auch von Hautkrebs als Folge berichtet (4).

Pest gegen Cholera und Covid19 gegen multiresistente Keime tauschen

Ein weiterer hochkritischer Faktor ist, dass permanente Anwendung von Desinfektion die Entwicklung multiresistenter Keime befördert. Man kann es sich ein wenig wie bei Antibiotika vorstellen: die Keime werden bei unsachgemäßer Anwendung nicht vollständig abgetötet und kehren mit angepasster Widerstandskraft zurück (5). Sachgemäße Anwendung bedeutet laut Herstellerhinweis ein bis zu 5-minütiges Feuchthalten in der Lösung. Im Alltag ist dies eine unrealistische Dauer. Das Problem der multiresistenten Keime finden wir also nicht nur in Kliniken vor (wo Desinfektion sinnvoll ist), sondern womöglich bald auch im Alltag.

Mehr zum Thema Antibiotika: Das Ende einer Antibiotika-Ära aufgrund steigender Resistenzen

Es sollte also in unser aller Interesse liegen, nicht Pest gegen Cholera und nicht Covid19 gegen Multiresistenzen zu tauschen. Eine gründliche Reinigung von Oberflächen und Haut mit Seife beseitigt effizient Schmutz, welcher der Nährboden für Keime ist. Gleichzeitig zerstört Seife die Ummantelung vieler Viren und Bakterien und macht sie so unschädlich. Ein rein mechanisches Eliminieren ist weitaus besser als die chemische Alternative, deren Konsequenzen wir nicht vollständig überblicken können und welche selbst bei sachgemäßer Anwendung (5-minütiges Feuchthalten in der Lösung) nicht mit Sicherheit die unliebsamen Viren eliminiert.

Wer hats erfunden?

Die Institution, die zumindest in Deutschland die aktuelle Pandemie durchorchestriert, ist unbestritten das Robert Koch Institut. Doch auf der Homepage lesen wir: „Eine routinemäßige Flächendesinfektion in häuslichen und öffentlichen Bereichen, auch der häufigen Kontaktflächen, wird auch in der jetzigen COVID-Pandemie nicht empfohlen. Hier ist die angemessene Reinigung das Verfahren der Wahl.“ (6) Von hier kommt der Desinfektions-Wahn also schonmal nicht.

Unsere nächste Theorie war, die Hygienekonzepte der Gaststätten orientieren sich nach den einzelnen Vorgaben der Länder, also haben wir exemplarisch die Veröffentlichungen des Bayerischen Staatsministeriums hinsichtlich Veranstaltungen (7) und Gastronomie (8) durchgesehen. Und siehe da: von einer Pflicht zur Desinfektion kann keine Rede sein. Vielmehr ist die Rede von „ausreichend Waschgelegenheiten, Flüssigseife, Einmalhandtücher und ggf. Händedesinfektionsmittel“, also quasi als on-top oder vielleicht auch zweitbeste Wahl, für den Fall, dass eine gründliche Reinigung anderweitig nicht möglich ist.

Um es kurz zu machen, wir konnten keinen offiziellen „Schuldigen“ ermitteln, der Deutschland vorschreibt, sich selbst und alle Oberflächen klinisch keimfrei zu halten. Es liegt der Verdacht nahe, dass findige Anbieter von Desinfektionsmitteln einfach ihre Chance erkannten und sich hier günstig positioniert haben. Darin liegt aber zugleich die relativ einfache Lösung des Problems: nicht der Gesetzgeber oder die Wissenschaft schreibt Desinfektion als nötiges Übel vor, sondern Marketingstrategen. Und da wir als Kunden noch immer am längeren Hebel sitzen, können wir ganz einfach durch unser Kaufverhalten das Angebot steuern. Vorausgesetzt, wir lassen uns nicht durch Werbekampagnen und Produktplatzierung in die Irre führen, sondern bleiben mündige Käufer.

Und für den Restaurant- oder Ladenbesucht gilt: Desinfektion ist keine Pflicht, wie oft irrtümlich angenommen. Natürlich bleibt es dem jeweiligen Hausherren überlassen, zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen sein Geschäft betreten werden darf. Aber erfahrungsgemäß bestehen die allerwenigsten auf Desinfektion und sind durchaus offen für konstruktive Gespräche in dieser Hinsicht.

Lisa Keilhofer
Lisa Keilhofer
Autorin

Lisa Keilhofer studierte an der Universität Regensburg. Sie arbeitet im Bereich Internationalisierung und als freiberufliche Lektorin.

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