Was passiert, wenn ein (DAS!) Virus die Lunge infiziert – und unter welchen Umständen die Infektion glimpflich verläuft.
Seit etwa einem dreiviertel Jahr erobert das neuartige Coronavirus die Welt. Effizient sucht es sich Wirt und verbreitet sich über alle Kontinente. Als seriöse Plattform wollten wir uns vor allem in den ersten Wochen und Monaten der Unsicherheit mit einem Bericht über das Thema zurückhalten. Das Virus war schlichtweg zu neu, als dass irgendeine Aussage etwas anderes als eine bloße Vermutung hätte sein können. Daher beschränkten wir uns auf grundsätzliche Hinweise, wie man sich auf (irgend-) eine Virusinfektion am besten vorbereitet.
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Heute, Mitte September 2020, haben wir einige Erkenntnisse zusammengetragen. Und wir freuen uns, dass unter dem Wust an Informationen, die zu diesem Thema publiziert werden, nun auch eine fundierte Studie erschien, die wir euch guten Gewissens vorstellen können: Die National Institutes of Health der US National Library of Medicine haben Mitte August eine Zusammenfassung verschiedener Studien veröffentlicht.
Analysiert wurden alle Artikel bis einschließlich 20. Juli 2020, die in den Datenbanken PubMed und Scopus zu den Suchbegriffen (SARS-CoV-2) ODER (coronavirus disease 2019) ODER (COVID-19) UND (microbiome) gelistet wurden. Die Auswertung fokussierte sich auf einen Zusammenhang zwischen gesundem oder beeinträchtigtem Lungenmikrobiom und dem Schweregrad einer Covid-19 Erkrankung. Die zugrundeliegenden Datenbanken listen wissenschaftliche Artikel.
Wie sieht ein gesundes Lungenmikrobiom aus?
Bis vor kurzem galt die Lunge als praktisch steril. (Artikel-Empfehlung: Das unerforschte Lungenmikrobiom.)
In der Tat ist eine gesunde Lunge nicht sehr dicht besiedelt, aber die Diversität ist relativ hoch. In einem normalen, gesunden Lungenmikrobiom finden wir vorwiegend die Bakterienstämme Firmicutes, Bacteroidetes und Proteobakterien und überwiegend die Gattungen Prevotella, Veillonella und Streptokokken. In Fällen von Lungenkrankheiten verhält es sich genau andersherum, die Diversität ist reduziert, aber die Dichte an Mikroben nimmt zu und schließlich überhand. Ein gesundes Lungenmikrobiom balanciert sich also laufend selber aus. Entzündungen und Infektionen werden vorgebeugt und eine stabile Immunität durch aktive Immunzellen aufrechterhalten.
Was, wenn das Lungenmikrobiom aus dem Gleichgewicht gerät?
Untersuchungen weisen je nach Krankheit eine typische „Fehlbesiedlung“ des Lungenmikrobioms auf. Patienten, die unter Asthma oder Bronchitis leiden, haben beispielsweise ein erhöhtes Vorkommen an Haemophilus, Neisseria, Fusobakterium und Porphyromonas. Mukoviszidose geht klassischerweise mit einem Überhang an Pseudomonas, Staphylokokken, Stenotrophomonas, Achromobacter und Streptokokken einher. Eine Lungenentzündung geht in aller Regel auf Bakterien Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae Typ B zurück oder auf das RS-Virus (Respiratory Syncytial Virus). Selbst die Krankheitsverläufe, in denen eine Beatmung nötig wird, können eindeutig beschrieben werden – es liegt hier eine höhere Dichte an Bazillen vor als in Vergleichsgruppen ohne Beatmung. Das Vorkommen an Pseudomonas, Corynebakterium und Rothia ist erhöht, während der Anteil an Streptokokken und Prevotella niedriger ist als in Fällen ohne Lungenentzündung.
Selbst verschiedene Arten von Lungenentzündung können mit einer konkreten Besiedlung des Lungenmikrobioms assoziiert werden. Zu den gängigsten Viren, die sich ungewollt in unserer Lunge ansiedeln und Krankheiten auslösen, gehören das Rhinovirus, das Adenovirus, das Influenza und das Parainfluenza Virus sowie das RS-Virus. Wir sehen anhand der umfangreichen Datenlage also, dass die Diversität und Dichte des Lungenmikrobioms sehr dynamisch ist.
Aufbau der Lunge und Immunität gegenüber pathogenen Keimen
Die Lunge ist von Natur aus ständigen Angriffen von Umwelteinflüssen ausgesetzt und durch ihren Aufbau einigermaßen gut dafür gerüstet. Die Lungenflügel werden von einer Schleimschicht umgeben, die Enzyme, Proteine und Lysozyme enthält. Diese können potenziell infektiöse Keime abtöten. Die Lungenzellen stehen außerdem in permanentem Kontakt zu den Immunzellen und können bei Bedarf eine rasche Immunreaktion auslösen. Makrophagen, Lymphozyten, lymphoide Zellen und Neutrophile unterstützen die Abwehrmechanismen des Körpers. Schädliche Eindringlinge werden also in vielen Fällen in den Atemwegen unschädlich gemacht, bevor sie weiter in den Körper eindringen können.
Wir nehmen Pathogene wie das SARS-CoV-2 Virus in aller Regel über die Atemwege auf. Gelangt der Erreger in die Lunge, bindet es sich an die sogenannten ACE2 (angiotensin-converting enzyme). Es erfolgt die Endozytose, also der Prozess, in dem das Virus in die körpereigenen Zellen eindringt. Anschließend beginnt der Erreger, sich zu reproduzieren und weitere Lungenzellen zu befallen. Die befallenen Lungenzellen sterben ab und lösen dadurch eine Reihe von Immunreaktionen und Entzündungsprozesse aus. Das ist inzwischen auch für den Verlauf von SARS-CoV-2 Infektionen sehr gut dokumentiert.
Für den Fall, dass die Abwehrprozesse die Vermehrung des Virus nicht stoppen können, nimmt das Virus überhand und die Lunge nimmt beträchtlichen Schaden. Der Körper schüttet als Immunreaktion eine sehr große Menge von Zytokinen und Chemokinen aus. Dieser Zustand der Hyperentzündung nennt sich auch ‘Zytokinsturm‘ mit akutem Lungenversagen als Folge (ARDS: acute respiratory distress syndrome), der ungünstigste Verlauf der Infektion, welcher mitunter tödlich verläuft. Daneben wurde beobachtet, dass eine SARS-CoV-2 Infektion mit einer Veränderung des Mikrobioms einher geht. Die Zunahme spezifischer Bakterien wurde beschrieben.
Das neuartige Coronavirus verfügt über einige geschickte Mechanismen, darunter eine Art „Tarnkappe“, Doppelmembran-Vesikel ohne PRR (Pattern Recoginition Receptor), die eine Erkennung durch das Abwehrsystem erschweren. Alles in allem setzt das Virus direkt in den Lungen an, weshalb offensichtlich ist, dass das Lungenmikrobiom einen Verlauf zum Guten wie zum Schlechten beeinflussen kann.
Zusammenhang zwischen Lungenmikrobiom und gesunder Abwehr
Damit die Lungenzellen die Immunabwehr abrufen können, ist ein intaktes Lungenmikrobiom nötig. Untersuchungen zeigen, dass für die Entwicklung eines stabilen Mikrobioms (wobei sich vor allem IL-17-produzierendeγδ T-Zellen als entscheidend herausstellten) Kontakt zu Pathogenen nötig ist. So weisen etwa Neugeborene, die bestimmten Bakterienstämmen ausgesetzt sind, nachweislich eine höhere Resistenz gegen entzündliche Atemwegserkrankungen auf. Kinder, die in einer mikrobenreichen Umgebung aufwachsen (also in Kontakt mit Tieren, Hausstaub, Blütenpollen und ähnlichen natürlichen Umwelteinflüssen), zeigen sich weniger anfällig für Asthma und Allergien.
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Was Covid-19 Patienten betrifft, ist die Anzahl der untersuchten Fälle noch zu gering, als dass sich Verallgemeinerungen ziehen ließen. Dennoch – auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse, die man allgemein über das Lungenmikrobiom und Viruserkrankungen hat – gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen schweren Verläufen und einem beeinträchtigten Lungenmikrobiom. Im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe weisen Erkrankte eine deutlich reduzierte Diversität des Lungenmikrobioms vor. Gleichzeitig wird von einem Überschuss an opportunistischen Pathogenen wie Streptokokken, Rothia, Veillonella, und Actinomyces berichtet, während Symbionten, die sich unterstützend auswirken würden, nur in geringerem Umfang vorliegen.
Eine andere Studie listete Clostridium hathewayi, Actinomyces viscosus und Bacteroides nordii als Pathogene und stellte einen Mangel an hilfreichen Bakterien Eubacterium ventriosum, Faecalibacterium prausnitzii, Roseburia und Lachnospiraceaetaxa fest. Ebendiese Studie stellt die These auf, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Anzahl an den Pathogenen Clostridium ramosum und Clostridium hathewayi und der Schwere des Krankheitsverlaufs festzustellen sei. Neben dem Bakterienvorkommen wurden auch die Pilze Candida albicans, Candida auris und Aspergillus flavus als Indikatoren für einen schweren Verlauf diagnostiziert.
Bis heute haben sich lediglich zwei Studien (Studie 1 und Studie 2) konkret mit dem Zusammenhang zwischen Lungenmikrobiom und einem SARS-CoV-2 Krankheitsverlauf befasst, deswegen ist es, wie eingangs erwähnt, noch zu früh, um generalistische Aussagen zu treffen, denn genau davon haben wir aktuell mehr als genug und gerade wir von MyMicrobiome wollen euch zuverlässige Informationen liefern und keine Thesen. Dennoch sind die bisherigen Ergebnisse interessant und werden durch Studien an ähnlichen Fällen bestätigt: Das Lungenmikrobiom und der Krankheitsverlauf stehen in direktem Zusammenhang.
Zusammenfassend können wir erstens davon ausgehen, dass ein intakt besiedeltes Mikrobiom eindringende Pathogene grundsätzlich eher davon abhalten kann, die Lunge zu besiedeln. Zweitens, das Lungenmikrobiom ist die Grundlage für eine funktionierende Immunabwehr. Die These, die aus den beiden Studien resultiert, ist also, dass ein fehlerhaft aufgebautes Lungenmikrobiom schwere Krankheitsverläufe mit akutem Lungenversagen begünstigt.
Zukünftige Untersuchungen sollten also das Augenmerk auf diesen Zusammenhang legen. Ebenso wäre ein möglicher Ansatz für weiterführende Studien die Wirksamkeit probiotischer Kuren und Mikrobiom-Transplantationen zu untersuchen. Die Autoren der Studie raten auch dringend dazu, bronchoalveolare Abstriche von Covid-19 Patienten zu nehmen und zu sequenzieren, um eine große Datenbasis zu schaffen, auf Grund derer sich gesicherte Aussagen hinsichtlich der oben vorgeschlagenen Therapiemöglichkeiten treffen lassen.
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