von Inge Lindseth

Wann kommt endlich die personalisierte Mikrobiom-Therapie?

Individual microbiome therapy
We are already at a stage where population subgroups can be given advice that is somewhat specific in terms of what pre- or probiotic that are to be used. (Pic.: © rumruay, © greenvector - stock.adobe.com)

Probiotika sollten nicht nur eindimensional betrachtet werden. Jedem, der sich etwas näher mit diesem Thema auseinandersetzt, ist das natürlich klar. Probiotika und andere auf das Mikrobiom ausgerichtete Therapien liefern eine vielfältige und weitläufige Palette von Produkten und Ansätzen und dies ermöglicht Therapien, die an die spezifischen Bedürfnisse eines Individuums angepasst sind. (Ich, beispielsweise, hätte gerne eine Therapie, die mich schneller laufen lässt, oder eine weitere, die meine Stimmung hebt und bitte gleichzeitig eine Tüte Kartoffelchips an der Seite!) Aber wie weit sind wir bezüglich dieser Art der Personalisierung tatsächlich schon gekommen? >>> Eine neue Veröffentlichung, die von 16 Wissenschaftlern aus Industrie und Forschung verfasst wurde, gibt uns hierzu einige Anhaltspunkte.   

"Shaping the Future of Probiotics and Prebiotics" ist der Titel dieser Veröffentlichung und sie beschäftigt sich ausführlich mit wirklich relevanten, zukunftsweisenden  Aspekten dieses Themenbereichs - wobei eine Botschaft besonders hervorsticht: Einer der wichtigsten Punkte, um die Wirksamkeit von Mikrobiom-orientierten Therapien einen großen Schritt voranzubringen, ist die Frage, welche Art von Pro- oder Präbiotika für bestimmte Personen wirklich von Vorteil sind. Diese Fragestellung sollten wir etwas näher betrachten.

Natürlich ist es mittlerweile bekannt, dass spezielle Probiotika bei speziellen Krankheiten gesundheitliche Verbesserungen bringen, während andere Probiotika wiederum für andere Krankheiten die bessere Wahl sind. Aber innerhalb einer Gruppe von Menschen mit der gleichen Krankheit wissen wir indes noch nicht, ob ein einzelner Patient davon profitiert oder eben nicht. Heutzutage ist es noch nicht Standard, eine Stuhlprobe durchführen zu lassen und mit dem Ergebnis im Anschluss die Aussage zu treffen: „Das ist das richtige Probiotikum für dich!“ Selbst mit einer umfangreichen Bestimmung der Mikroorganismen im Darm, verschiedenen Blutuntersuchungen und weiteren, relevanten Informationen über ein Individuum sind wir noch weit davon entfernt, die unterschiedliche Wirkung eines Probiotikums auf unterschiedliche Personen, vorherzusagen. Allerdings ändert sich nach Aussage der Autoren diese Situation gerade:

“Umfassende technologische Fortschritte bei der Datenerfassung und der Analyse ermöglichen die Erforschung neuer Pro- und Präbiotika-Kandidaten und bieten tiefere Einblicke in ihre Interaktionen mit dem Mikrobiom und dem Wirt. Das Interesse an neuen Anwendungen von Pro- und Präbiotika, bezüglich verschiedener Gesundheitszustände, Körperbereichen, Bevölkerungsuntergruppen und Verabreichungsformaten, nimmt weiter zu.”

Die Autoren sprechen hier in der Tat davon, dass wir uns bereits in einem Stadium befinden in dem beispielsweise Bevölkerungsuntergruppen eine spezifische Beratung bezüglich einer Prä- oder Probiotikum-Auswahl erhalten könnten. Weitere Fortschritte zur Personalisierung von Prä- und Probiotika werden mit Sicherheit durch die jungen und zukünftigen technologischen Erneuerungen beschleunigt werden..

Nicht nur „wer” ist in deinem Darm, sondern „was” tun sie dort?

Welche verschiedenen Möglichkeiten der Personalisierung gibt es tatsächlich? Aktuelle und zukünftige Möglichkeiten, um zwischen verschiedenen Mikrobiom-Therapien zu wählen, bestehen nach Aussage der Autoren darin, alle relevanten Informationen sowohl eines Individuums als auch einer Gruppe in die Diagnose miteinzubeziehen:

  • Spezieller Gesundheitszustand einer Person
    z.B. ein Probiotikum für Ekzeme und ein anderes für Fettleibigkeit

  • Individuelle Ernährungs-Eigenschaften einer Person
    z.B. ein spezielles Präbiotikum für ballaststoffarme Ernährung

  • Individuelle Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms
    z.B. Gabe “fehlender" Bakterien des Darm-Mikrobioms, basierend auf einer Mikrobiom-Analyse.

  • Zielgerichtete individuelle Funktion des Darm-Mikrobioms
    z.B. Erhöhung funktioneller, gesundheitsfördernder Substanzen, entweder durch Zufuhr gezielter Lebensmittel, NEM oder speziellen Probiotika

Ein Zukunftsszenario könnte also beispielsweise sein, dass eine Person, die sowohl an Fettleibigkeit, Reizdarmsyndrom, als auch an Nahrungsmittelunverträglichkeiten leidet, einen Stuhltest (oder eine andere Mikrobiom-Probe), Blutuntersuchungen und weiterführende Tests durchführen lässt. Zile ist es, herauszufinden, ob lediglich geringe Mengen mikrobieller Stoffwechselprodukte vorhanden sind, die beispielsweise den Appetit unterdrücken. Wird im Darm vermehrt Histamin, das eine zentrale Rolle bei allergischen Reaktionen spielt, produziert? Ist die Anzahl der „schlankmachenden“ Mikroorganismen vermindert oder produzieren die vorhandenen Mikroben vermehrt krankheitsauslösende Virulenzfaktoren?

Dieses Wissen könnte dann tatsächlich als Grundlage für eine maßgeschneiderte Pro-, Prä- und Postbiotik- Beratung genutzt werden. Heutzutage kann so etwas leider nur zu einem geringen Grad durchgeführt werden. Die meisten der hier genannten Informationen können derzeit noch nicht durch Untersuchungen, die dem durchschnittlichen Verbraucher oder Therapeuten zur Verfügung stehen, gewonnen werden.

Aber wie kann ich überhaupt das richtige Produkt auswählen?

Da zukünftig mehr Tools zur Personalisierung der Mikrobiom-Therapie zur Verfügung stehen, benötigen wir auf alle Fälle Verbesserungen von Produkten, Therapien und der Art und Weise der Kennzeichnung von Probiotika. Betrachten wir die heutige Situation: Die Behörden (EFSA) innerhalb der EU erlauben keine gesundheitsbezogenen Angaben für Probiotika als Nahrungsergänzungsmittel. Leider gibt es keine Möglichkeit einfach mal schnell herauszufinden, ob für ein bestimmtes Produkt ein Wirkungsnachweis vorliegt oder ob das Produkt überhaupt das enthält, was auf dem Etikett steht.

Obwohl die Autoren von “Shaping the Future of Probiotics and Prebiotics" sehr stark für eine weiterführende Forschung zu Pro- und Präbiotika für die personalisierte Mikrobiom-Therapie plädieren, so lassen sie doch eine Frage offen: Wie erfolgt nun die tatsächliche Auswahl eines Produkts für den Verbraucher oder Therapeuten?
Die Lösung, die die Autoren anbieten, besteht darin, abzuwarten, bis die Wissenschaft den Nutzen bestimmter Probiotika klarer aufzeigt und diese Erkenntnisse im Anschluss dazu nutzt, um mit den Zulassungsbehörden zusammenzuarbeiten. Wir bei MyMicrobiome befürworten das natürlich auch, befürchten allerdings gleichzeitig, dass dies ein sehr langwieriger Prozess sein könnte. Und das schöpft nicht alle Möglichkeiten aus, die es gibt.

Was schon heute auf alle Fälle machbar ist, ist die Kennzeichnung von Produkten auf der Grundlage ihrer Qualität und indem man den Zusammenhang mit den verschiedenen gesundheitlichen Wirkungen für den Verbraucher und Therapeuten leichter erkennbar macht. In der Tat, und vielleicht überraschend, fehlt dem größten Teil der Probiotika auf dem enormen Markt der Nahrungsergänzungsmittel einer oder mehrere dieser Qualitätsaspekte:

  • Eine Auflistung der spezifischen Stämme des Produkts auf dessen Etikett oder Beipackzettel
  • Wissenschaftliche Studien zur Absicherung der Wirkung
  • Informationen zur Indikation des Probiotikums

Gesundheitsbezogene Aussagen probiotischer Nahrungsergänzungsmittel sind ohne Zulassung nicht erlaubt. Deshalb ist es zuerst erforderlich, Produkte mit fehlenden Informationen zu Stämmen, klinischen Studien, Angaben von Lebendkeimzahlen etc., auszusortieren. Vor dem Hintergrund der unglaublichen Anzahl probiotischer Produkte, wird es dadurch schon definitiv leichter, qualitativ gute Produkte zu finden.

Ein Stempel, erreicht durch unsere unabhängige Zertifizierung, könnte der erste große Schritt bei der Suche nach dem richtigen Produkt sein. Sobald der Verbraucher, Apotheker, Arzt oder Therapeut sieht, dass es klinische Studien zu dem Produkt gibt, wird ein Blick in die wissenschaftliche Literatur weitere Details, z. B. bei welchen Beschwerden das Produkt eingesetzt werden kann, aufzeigen. So eine Literatur-Recherche ist zunächst für den Durchschnittsverbraucher nicht so einfach zu bewerkstelligen, aber eine Auflistung der entsprechenden Studien auf unserer Website könnte die Suche sehr erleichtern. Auf diese Weise kann jeder einzelne selbst herausfinden, ob Studien zu probiotischen Stämmen zur Linderung von Krankheitssymptomen, überzeugend genug sind.

Inge Lindseth
Inge Lindseth
Registrierter Ernährungsberater

Inge Lindseth ist ein registrierter Ernährungsberater (Universität Oslo). Seine Spezialgebiete sind Fasten, das Mikrobiom, Übergewicht, Diabetes und Autoimmune Krankheiten. Er hat zwei Bücher über Ernährung geschrieben und einige Peer-Review Artikel veröffentlicht.

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