Probiotika – viel Potenzial, aber auch potenziell viel Schaden
Die Pharmaindustrie hat ein neues Steckenpferd: Probiotika. Wie sehr wir von den Marketing-Schienen diverser Produkte beeinflusst sind, zeigt ein einfacher Versuch. Bereit? Welche der folgenden Schlagworte hast du schon gehört? Hyaluronsäure, Antioxidantien, L. casei Kulturen. Und was bewirken diese genau? Du hast keine Ahnung? Macht nichts, denn wenn ein Button auf dem Jogurtbecher irgendeinen positiven Effekt suggeriert, dann wird das schon so seine Richtigkeit haben und man kann das Zeug ja mal probieren, schaden kanns ja nicht. Oder?
Wir möchten hiermit ein wenig aufräumen mit gefährlichem Halbwissen und fahrlässigen Halbwahrheiten. Denn Fakt ist, so viel können wir vorausschicken: Probiotika sind eine feine Sache und können unserer Gesundheit durchaus zuträglich sein. Aber in den meisten Fällen wird einfach nur sinnlos Geld ausgegeben und in manchen Fällen sogar ernsthaft Schaden angerichtet. Hier die Tatsachen:
Was sind Probiotika?
Wie viel Verwirrung diese Frage schon gestiftet hat, zeigt die Tatsache, dass sich die FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) und die WHO (World Health Organization) im Jahr 2001 um eine gemeinsame Definition bemühten, die dann 2013 durch die International Scientific Association for probiotics and prebiotics (ISAPP) bestätigt wurde. Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in ausreichenden Mengen verabreicht werden, dem Wirt einen gesundheitlichen Nutzen verschaffen. Der typischerweise als probiotisches Lebensmittel genannte Joghurt enthält also per Definition erstmal keine Probiotika. Erst wenn das gemeinte Probiotikum eines konkreten Produktes hinsichtlich Gattung, Art und Stamm definiert und die Wirkung klinisch bestätigt wurde, darf von Probiotika gesprochen werden.
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Und was bezwecken Probiotika?
Dass man die obige Definition nicht hinbekommt, aber trotzdem eine ungefähre Ahnung davon hat, dass Probiotika irgendwelche lebenden Organismen in unserem Essen sind, das sei dem Verbraucher überlassen. Aber Hand aufs Herz, was genau machen eigentlich Probiotika? (Und die Antwort „gesund“ zählt nicht!). Ja richtig, wir wissen es eigentlich nicht so genau. Nur, dass es wohl ganz gut sein soll.
Probiotika sollen unsere Darmflora dahingehend verändern, dass sich darin ein stabiles Mikrobiom entwickeln und erhalten kann. Das kann durch Stoffwechselvorgänge ausgelöst werden oder durch anti-bakterielle Substanzen welche schädliche Bakterien eliminieren und so die Umgebung Mikrobiom-freundlicher gestaltet wird. Die Wirkung endet mit dem Ausscheiden, das Probiotikum muss also laufend zugeführt werden.
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Kann doch nicht schaden, oder?
So weit, so klar. Wir sprechen also von Nahrungsergänzungsmitteln, oft in Kapselform, manchmal auch als Bakterienkulturen anderen Lebensmitteln zugesetzt, die unsere Darmgesundheit fördern sollen. Nun stellt sich die Frage, ob man dabei noch etwas falsch machen kann.
>>> Der amerikanische Kanal CNN health warnt: abgesehen von dem Riesen-Hype ist nicht viel los mit den Probiotika. Die USA zählen zu den konsumstärksten Märkten um Probiotika. Die Zahl der Konsumenten hat sich von 2007 auf 2015 etwa vervierfacht. Ähnlich wie in Europa, kann man in den USA Probiotika rezeptfrei erwerben, entweder in der Apotheke, wo man zumindest auf Nachfrage und Wunsch noch fachliche Beratung haben kann. Oder auch einfach im Supermarkt, wo man einfach auf Verdacht einkauft. Und genau darin sieht der Bericht der CNN ein gewisses Gefahrenpotenzial.
Probiotika sind nachweislich nützlich für unseren Organismus. Aber nicht jedes Probiotikum hilft für alle Probleme. In der Tat helfen die meisten Probiotika gar nicht, entweder weil sie ohne Indikation konsumiert werden oder – und jetzt wird es kompliziert – weil sie generell keine konkrete Wirkung haben, weshalb sie per Definition wiederum nicht als Probiotikum bezeichnet werden dürfen.
Dürfen die das?
Zusammengefasst, man darf also auf jedes beliebige Präparat oder Lebensmittel „probiotisch“ schreiben (stimmt zwar dann faktisch, interessiert aber irgendwie keinen) und das Zeug dann über die Theke verkaufen ohne dass eine weitere Beratung erfolgen würde. Beim Verbraucher liegt die alleinige Verantwortung, das Produkt so auszuwählen, dass es auf eine konkrete Therapie abzielt. Und um nochmal zurück zu unserem Versuch am Anfang zu kommen: haben wir uns nicht alle schonmal davon täuschen lassen, dass sich ein Inhaltsstoff supergesund anhört und dass Probiotika an und für sich gut sein sollen, wissen wir hauptsächlich vom Hörensagen.
Du fühlst dich ein wenig ertappt? Gut so. Vermutlich ist bislang nicht sehr viel mehr passiert, als dass du sinnlos teures Geld ausgegeben hast für etwas, das dir nicht direkt schadet, aber im Grunde auch nicht weiter nutzt. Und das ist ziemlich schade, denn Probiotika haben definitiv das Zeug dazu.
Was hilft wofür und was nicht?
Eine Studie der University of Washington, auf die sich auch der genannte CNN-Bericht bezieht, bestätigt, dass Probiotika durchaus sinnvolle Ergänzungen zu unserer Ernährung sein können, wenn man sie zielgerichtet auswählt. Dabei ist wichtig, jeden Bakterienstamm genau zu kennen und auf eine entsprechende Krankheit hin auszuwählen. Um die Auswahl richtig zu treffen, müssen wir uns genau mit unserem Mikrobiom auseinandersetzen, Defizite ausmachen und ganz gezielt behandeln.
Gängige Präparate auf dem freien Markt können hier nicht weiterhelfen, dazu sind sie zu unspezifisch. Eine Behandlung in Selbstmedikation ist in den meisten Fällen ohne Erfolg. Unter ärztlicher Aufsicht, dem richtigen, in seiner Wirksamkeit klinisch-bestätigten Bakterienstamm in der passenden Dosis, als Lebendstoff verabreicht und so kalibriert, dass er die Magensäure überlebt, kann ein Probiotikum durchaus beachtliche Effekte erzielen.
Spezielle Probiotika für Frühgeborene haben sich als hilfreich erwiesen. Auch bei der Prävention der Infektion mit Clostridium difficile zeigten sich Probiotika als sinnvoll. Ist allerdings die Krankheit schon ausgebrochen, erwies sich der Einsatz von Probiotika nicht als zielführend. Gleiches gilt für Morbus Crohn, entzündliche Darmkrankheiten und dem Reizdarmsyndrom.
Was passiert schlimmstenfalls?
Sehr interessant ist die Erkenntnis, dass die Behandlung von Gastroenteritis bei Kindern mit Durchfall in den USA laut Studien nicht mit Probiotika behandelt werden sollte, während andere Studien darauf hindeuten, dass Kinder mit Durchfall in Entwicklungsländern einen kürzeren Krankheitsverlauf erfahren, wenn sie mit Probiotika behandelt werden. Allein dieser scheinbare Widerspruch zeigt auf, wie wichtig es ist, das Darm-Mikrobiom in die Auswahl der Therapie und des Probiotikum-Stammes miteinzubeziehen.
Einer der ausführenden Wissenschaftler der Studie verdeutlicht, dass es tatsächlich einige sehr hilfreiche Stämme gibt, deswegen sollte man nicht Probiotika als Ganzes verteufeln. Gleichzeitig kann eine falsche Anwendung im ungünstigsten Fall sogar Infektionen auslösen. Immerhin handelt es sich um lebende Organismen. Im schlimmsten Fall geraten diese in die Blutbahnen und können dort eine Blutvergiftung auslösen.
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