Interview mit Dr. rer.med. Tewodros Debebe von BIOMES
Was ist deine Lieblingsmikrobe und warum?
Alle Mikroben, die uns gewogen sind und eine wichtige Rolle für unser Wohlbefinden spielen, sind meine Lieblingsmikroben. Aber wenn ich mich für ein bestimmtes Bakterium entscheiden müsste, dann für Lactobacillus. Laktobazillen bringen eine Reihe verschiedenster positiver Eigenschaften für unsere Gesundheit mit sich wie z. B. die Senkung des Cholesterinspiegels, Vorbeugung von und Hilfe bei Durchfall, Verbesserung der Symptome des Reizdarmsyndroms (IBS), Vorbeugung von vaginalen Infektionen, Unterstützung bei der Gewichtsabnahme, Reduzierung von Erkältungssymptomen, allergischen Reaktionen und Ekzemen.
Wann und von wem wurde sie entdeckt?
Die Gattung Lactobacillus umfasst derzeit geschätzt über 180 Arten (Spezies). Die einzelnen Lactobacillus-Arten wurden zu unterschiedlichen Zeiten entdeckt. Die erste wurde im Jahre 1900 von Ernst Moro, einem österreichischen Arzt, aus Säuglingskot isoliert und damals als Bacillus acidophilus bezeichnet und später in Lactobacillus acidophilus umbenannt.
Weiß man, wie lange diese Mikrobe bereits auf der Erde existiert?
Eine genaue Angabe dazu lässt sich schwer machen. Da der Lactobacillus allerdings mit Joghurt assoziiert wird, der durch bakterielle Milchvergärung entsteht, kann man festhalten, dass er mindestens so lang existiert wie es Joghurt gibt, der vermutlich um 5000 v. Chr. zum ersten Mal hergestellt wurde. Joghurt ist in fast allen Kulturen zu finden, die Tiere für die Milchproduktion gehalten haben, und er wurde wahrscheinlich in unterschiedlichen Regionen der Welt auf jeweils ähnliche Weise entdeckt. Nach Tausenden von Jahren, in denen Menschen Lactobacillus unwissentlich genutzt haben, begannen Wissenschaftler im Jahre 1900, die Bakterien zu untersuchen und zu isolieren, die an der Herstellung von Joghurt beteiligt sind. Lactobacillus acidophilus wurde dann von Ernst Moro entdeckt, einem österreichischen Arzt, der den Stuhl eines Kindes mit Magen-Darm-Beschwerden untersuchte.
Im Jahre 1905 entdeckte der Bulgare Dr. Stamen Grigorov eine besondere Art von Lactobacillus im Joghurt und nannte ihn Lactobacillus bulgaricus. Der russische Wissenschaftler Elie Metchnikoff, der sich für die Entdeckungen von Dr. Grigorov interessierte, verbrachte um 1907 eine Weile in den abgelegenen Dörfern des Kaukasusgebirges, wo die Mehrheit der Dorfbewohner im Vergleich zur allgemeinen Weltbevölkerung ein höheres Lebensalter erreichten. Metchnikoff bemerkte, dass die Ältesten des Dorfes täglich einen fermentierten Joghurtdrink zu sich nahmen, der den probiotischen Lactobacillus bulgaricus enthielt und dazu beigetragen haben könnte, ihnen diese lange Lebenszeit zu verschaffen. Einer dieser Wissenschaftler war der japanische Mikrobiologe Minoru Shirota, der sich von der Arbeit von Elie Metchnikoff inspirieren ließ und einen Stamm von Lactobacillus casei entdeckte, den er Lactobacillus casei Shirota nannte. Shirota glaubte, dass die Produktion von Milchsäure im Darm die schlechten Bakterien im Darm unschädlich machen und so zur Gesundheit und einer längeren Lebensdauer beitragen könnte. Vielleicht haben Sie ja schon Mal von Shirota gehört; wenn nicht, dann aber bestimmt von seiner Erfindung: dem probiotischen Joghurtdrink Yakult, eines der ersten kommerziell erhältlichen Probiotika.
Welcher taxonomischen Ebene wird sie zugeordnet?
Wenn wir die Klassifizierung der Bakterien betrachten, befindet sich der Lactobacillus auf Gattungsebene und ist ein großer Teil der Milchsäurebakteriengruppe (d.h. er wandelt Zucker in Milchsäure um). Sein Name gibt einen Hinweis darauf, was er produziert – Milchsäure. Dies geschieht durch die Produktion eines Enzyms namens Laktase. Die Laktase spaltet die Laktose, einen Zucker aus der Milch, in Milchsäure.
Wo kommt sie hauptsächlich im menschlichen Körper vor?
Beim Menschen stellen Lactobacillus-Arten an einer Reihe von Körperstellen, wie dem Verdauungssystem, dem Harnsystem und dem Genitalbereich, einen bedeutenden Bestandteil der mikrobiellen Gemeinschaft dar. Bei Frauen sind Lactobacillus-Arten normalerweise ein wesentlicher Bestandteil der vaginalen Mikrobiota. Lactobacillus weist eine mutualistische Beziehung zum menschlichen Körper auf, da er den Wirt vor möglichen Eindringlingen von Krankheitserregern schützt und seinerseits eine Nährstoffquelle darstellt.
Wo in der Umwelt und in welchen Lebensmitteln kommt sie vor?
Lactobacillus findet man in und auf Pflanzen und in Böden, vor allem aber in Futtermitteln, Silage, Kompost und Gülle. Zu Lactobacillus zählen die häufigsten Bakterien in fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt und Kefir. Verschiedene Arten werden kommerziell bei der Herstellung von Sauermilch, Käse, Joghurt verwendet und spielen eine wesentliche Rolle bei der Herstellung von fermentiertem Gemüse (Gurken und Sauerkraut), Getränken (Wein und Säfte), Sauerteigbroten und einigen Wurstwaren.
Wie können wir diese Mikrobe in unserem Darm ansiedeln oder vermehren?
Normalerweise gehören viele Lactobacillus-Arten zur mikrobiellen Gemeinschaft in einem gesunden Darm. Lactobacillus kann aber auch durch die Einnahme von Lactobacillus-haltigen probiotischen Ergänzungsmitteln zugeführt werden, entweder einzeln oder in Kombination mit anderen Pro- und Präbiotika. Außerdem können wir Lactobacillus auch aus fermentierten Lebensmitteln beziehen. Die besten Nahrungsquellen für Lactobacillus sind Kefir, Joghurt, Sauerkraut, die meisten Käsesorten, Miso und Tempeh.
Kann sie industriell hergestellt werden?
Auch wenn es sich um einen recht komplexen Prozess handelt, ist es möglich, große Mengen unter streng kontrollierten Bedingungen herzustellen. Üblicherweise werden die Kulturen über Massenanzucht in anerkannten Labors nach internationalen Qualitätsstandards hergestellt. Die Mikroben werden auf einem Wachstumsmedium kultiviert, die Kulturbiomasse wird geerntet und durchläuft dann die sogenannte Lyophilisation (Gefriertrocknung), die die Mikroben inaktiviert. Wenn sie einer nährstoffreichen und lebensfreundlichen Umgebung wie einem gesunden Darm ausgesetzt sind, entfalten sie sich und werden wieder aktiv. Eine Reihe von Lactobacillus-Arten wird für probiotische Nahrungsergänzungsmittel verwendet, die als Pulver oder Kapseln (die das Pulver enthalten) verabreicht werden. Erhältlich sind diese dann beim Hersteller direkt oder in Apotheken. Zur Quantifizierung der probiotischen Bakterien wird die Einheit CFU (Colony Forming Unit), im Deutschen Koloniebildende Einheit (KBE), verwendet und gibt an, wie viele Bakterien in Probiotika in der Lage sind, Kolonien zu teilen und zu bilden. Dies ist ein weites Feld, um es etwas zu zu verkürzen: Denken Sie bei einer KBE einfach an ein einzelnes Bakterium.
Wie wir bereits wissen, ist Lactobacillus in der Lebensmittelindustrie weit verbreitet und fermentierte Lebensmittel sind in fast jedem Supermarkt erhältlich. Diese Art der Fermentation erfolgt in der Regel unter Verwendung sogenannter Starterkulturen, die aus einer Mischung verschiedener Mikroben bestehen. Rund 35 % der von uns konsumierten Lebensmittel werden mit Hilfe von Starterkulturen hergestellt.
Welche Stoffwechselprodukte entstehen durch sie im menschlichen Darm und wofür sind sie gut?
Durch den natürlichen Stoffwechsel der Lactobacillus-Arten entstehen einige nützliche Produkte wie Vitamine, Enzyme, kurzkettige Fettsäuren (Butyrat, Acetat und Propionat), die nachweislich mehrere positive Eigenschaften für unsere Gesundheit und unseren Energiestoffwechsel bereithalten. So etwa die Stärkung der Darmschleimhaut, Regulierung des Immunsystems und Beeinflussung mentaler Prozesse der Darm-Hirn-Achse. Interessanterweise können Lactobacillus-Arten eine Substanz namens Bacteriocin produzieren, die das Wachstum schädlicher Mikroben hemmt. In der Vaginalflora sind Lactobacillus-Arten sehr wichtig für die Aufrechterhaltung der Vaginalökologie und die Vorbeugung von Vaginalinfektionen, meist verursacht durch Candida, denn Lactobacillus produziert Milchsäure als Stoffwechselprodukt, die die Vaginalumgebung sauer macht, so dass schlechte Mikroben in dieser Umgebung nicht überleben können.
Dr. Tewodros Debebe ist medizinischer Mikrobiologe und seit 2017 Head of Science bei BIOMES - einem Berliner Biotechnologieunternehmen, das sich auf Mikrobiomanalysen für Endverbraucher und Fachleute spezialisiert hat. Er promovierte 2017 in Medizinischer Mikrobiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Dr. Tewodros' große Leidenschaft ist das Verständnis der Mikrobiota und ihrer Wechselwirkungen mit dem menschlichen Körper. Er hat mehr als zehn wissenschaftliche Arbeiten in bekannten internationalen Fachzeitschriften mit Peer-Review veröffentlicht, darunter die Zeitschriften Nature Scientific Report und PLoS ONE. Derzeit besteht seine Hauptaufgabe bei BIOMES in der Entwicklung einer Wissensdatenbank zur Mikrobiota, die auf den neuesten wissenschaftlichen und klinischen Studien basiert und als Grundlage für Interpretationen und Empfehlungen dient.