von Lisa Keilhofer

Der Darm und sein Mikrobiom sind die Stars der Stunde

Unser Darm
Unser Darm ist in seinem Ansehen so sehr aufgestiegen, dass man ihn heute als „zweite Schaltzentrale des Körpers“ würdigt. (Picture: ©ryanking999 - stock.adobe.com)

Wir waren mal wieder für euch im Zeitschriftenladen und haben uns umgesehen, was (neben Corona) derzeit so angesagt ist. Und wir freuen uns, euch mitteilen zu dürfen (Trommelwirbel), es ist das Darmmikrobiom! Die GEO und GEO kompakt (GEO 06/2020 bzw GEO kompakt Nr. 59) nehmen sich das Thema vor. Die lange Zeit als „Pupsforschung“ verunglimpfte Disziplin hat sich als durchaus relevant für Otto-Normalpupser herausgestellt und ist plötzlich in den Fokus geraten. Dabei steht die GEO und alle ihre Untertitel stellvertretend für alle „wissenschaftlich ambitionierten Magazine mit Zielgruppe Breitenleserschaft“. Beinahe in jedem deutschen Wohnzimmer findet sich eine Sammlung solcher Magazine. Und immer mal wieder nimmt man dann eine dieser Zeitschriften aus dem Regal, blättert darin und wundert sich, dass etwas, das heute als selbstverständlich angesehen wird, damals vor 10 Jahren erst erforscht wurde. Oder manchmal wundert man sich auch, dass man damals schon Dinge wusste, die bis heute nicht im Bewusstsein der Bevölkerung verinnerlicht sind. Wir hoffen, dass für das Darm-Mikrobiom ersteres der Fall sein wird.

Eine Disziplin, die wirklich nicht neu ist

Genau genommen ist die Forschung zum Darm-Mikrobiom nämlich auch keine brandneue Disziplin. Zu Wort kommen unter anderem Dr. Dirk Haller, der schon vor 20 Jahren Vorträge zum Thema hielt, meistens aber belächelt oder durchaus ein bisschen eklig gefunden wurde. „Fäkaltransfer“ als Therapie ist auch heute noch eine unangenehme Vorstellung und bei Weitem noch nicht Standard, aber die Akzeptanz ist deutlich gestiegen.

Unser Darm ist in seinem Ansehen so sehr aufgestiegen, dass man ihn heute als „zweite Schaltzentrale des Körpers (neben dem Gehirn)“ würdigt. Neben der Verdauung und Verwertung unserer Nahrung ist er ein Immunorgan, kommuniziert laufend mit dem Gehirn und beherbergt Billionen von Mikroben. Was jetzt offiziell ist, war im Grunde unserer Intuition schon lange klar und spiegelt sich in Redewendungen vieler Sprachen. Im Deutschen spricht man zum Beispiel von „Bauchgefühl“ oder Entscheidungen, die „aus dem Bauch heraus“ getroffen werden. Im Asiatischen Sprach- und Kulturraum gilt der Darm sogar als Zentrum unseres Körpers und als Tor des Lebens.

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Lesenswertes über unsere inneren Werte

Wir möchten jetzt nicht Absatz für Absatz wiedergeben, was die Artikel beschreiben, denn die Lektüre lohnt zu sehr, als dass man sich mit der Zusammenfassung zufriedengeben sollte. Wie unsere Verdauung konkret abläuft und dass bereits im Mund, später dann im Magen und zuletzt im Darm potenziell schädliche Keime und Bakterien teilweise abgetötet werden können, das war auch den meisten Menschen schon bekannt. Eine wichtige Aussage besteht darin, dass vor allem die westliche Medizin das Hirn als alleinige Schaltzentrale des Körpers wahrgenommen hatte und den Darm in Heilverfahren vernachlässigte. Die direkte Verbindung zwischen Gehirn und Darm, der Vagus-Nerv, spielt dabei eine interessante Rolle. Informationen aus dem Darm werden im Gehirn auch an Regionen weitergereicht, die für unsere Emotionen und unsere psychische Konstitution verantwortlich sind.

Der Darm interagiert also mit dem Gehirn. Hat das Gehirn viel Stress, regelt der Darm seine Aktivität herunter, um freiwerdende Energie an seinen Kollegen nach oben zu schicken. Und dass manche Darmerkrankungen wie Reizdarm von Stress herrühren oder aber auch wechselweise Depressionen auslösen können, ist ebenfalls ein klares Zeichen für die „Standleitung“ zwischen diesen beiden Hochleistungszentren in uns. Es ist die Rede von einer Art Datenbank, die das Gehirn anlegt und die die Rückmeldungen des Darmes archiviert. Tritt eine neue Situation auf, wird erstmal die bestehende Datenbank abgeglichen. Noch bevor die Ratio sich einschaltet, wirft der Datenabgleich eine Tendenz aus, wie die anstehende Entscheidung aussehen soll. Und das muss nicht schlecht sein. Es liegt nur an unserem mangelhaften Wissen über den genialen Darm, dass wir so genannte „Bauchentscheidungen“ als zweitklassig abtun. Dabei basieren diese auf ebensolchen Erfahrungswerten und sind damit genauso valide wie die Entscheidungen des „anderen“ Gehirns in unserem Kopf.

Permanente Abwehr von Krankheitserregern

Einen extra Artikel war der GEO die Berichterstattung über unsere Abwehrkräfte wert. „In jeder Sekunde“ dringen Krankheitserreger in unseren Körper ein und rund um die Uhr ist eine permanente und koordinierte Abwehr nötig, um Infektionen zu vermeiden. Es muss die Autorin (Maria Kirady) einiges an Selbstbeherrschung abverlangt haben, nicht den sich permanent aufdrängenden Vergleich zum Corona-Virus zu bemühen (auch wenn konkret eine bakterielle Infektion beschrieben wird).

Der Text liest sich wie die Dokumentation eines Krieges aus dem nächsten Jahrtausend mit biochemischen Waffen. Und trotzdem geht es um Prozesse, die „in jeder Sekunde“ in unserem Körper ablaufen. Der Mensch ist also Schauplatz von Kämpfen Jahrtausende alter Lebensformen, die im Endeffekt um uns als Lebensraum streiten, während wir nichts oder nur wenig davon mitbekommen. In jedem Fall aber tun wir gut daran, unsere Abwehr, also unser Immunsystem möglichst zu unterstützen.

Was empfiehlt also die Forschung?

Genau hier sucht der Leser vergeblich nach einem Patentrezept. Die meisten Versuche zum Darm-Mikrobiom haben bisher nur an Nagetieren im Labor stattgefunden. Haller und seine Kollegen sind gemäß ihrer wissenschaftlichen Seriosität auch sehr zurückhaltend, was die „einfache Lösung“ angeht. Es gibt vermutlich nicht das eine „Super-Bakterium“, das als Kapsel eingenommen alle unsere Probleme psychischer und physischer Natur löst. Stattdessen propagiert Haller die „alten Grundsätze“: viel Obst und Gemüse, Vollkorn- und Milchprodukte, wenig Fleisch – das sollte fürs erste reichen. Am besten, wir begreifen unseren Körper als das, was er ist: ein dicht besiedeltes und komplexes Ökosystem, dessen Artenreichtum wir möglichst erhalten sollen, um Krankheiten zu vermeiden und selbst eine positive Stimmung zu bewahren.

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Die Autorin Katharina von Ruschkowski beschreibt es sehr treffend: Der Darm ist zwar nicht „der alleinige Stimmungsmacher, schafft allerdings (…) eine Art Gemütsrauschen, einen Stimmungsteppich“. Das ist einer dieser Sätze, die man sich in dieser GEO Ausgabe mit dem gelben Textmarker kennzeichnen darf, damit man, wenn man in 10 Jahren eben diese Ausgabe wieder hervorholt, gleich auf den relevanten Teil gestoßen wird. Werden wir dann sagen „Wow, sowas war damals die neueste Erkenntnis, das klingt heute so selbstverständlich“ oder eher „Wahnsinn, das weiß man jetzt schon so lange und handelt noch immer nicht danach“? Es liegt ein bisschen auch an uns…

Lisa Keilhofer
Lisa Keilhofer
Autorin

Lisa Keilhofer studierte an der Universität Regensburg. Sie arbeitet im Bereich Internationalisierung und als freiberufliche Lektorin.

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